Die Stille
Ich schließe die Haustür hinter mir und verharre einen Moment, denn es ist so still. Jedes Mal, wenn ich nach Hause komme, ist es so still. In meiner Wohnung und in mir. Wie ein schwerer Vorhang fällt die Stille auf mich herab, drückt mich nieder und hält mich gefangen. Langsam ziehe ich meine Jacke aus und überlege, was ich nun tun soll.Ich komme gerade aus dem Lärm, wo Menschen miteinander reden und lachen. Auch ich redete und lachte mit ihnen, aber nun, da ich zuhause bin, ist wieder alles still. Das Leben, an dem ich gerade noch teilgenommen habe, ist nicht mit mir nach Hause gekommen.
Ich setze mich auf das Sofa und starre auf den dunklen Fernseher. Ich habe keine Lust, ihn anzumachen und auf das leere Geplapper, das aus ihm stürzen würde. Das würde die Stille nur kaschieren.
Aber ich bin die Stille leid. Ich bin es leid, dass sie sich gegen jeden meiner Versuche sträubt, von mir gefüllt zu werden. Immer wieder mühe ich mich ab und versuche mit wachsender Verzweiflung so laut und so lebendig wie möglich zu sein, aber sobald ich nachlasse und der Stille auch nur ein kleines bisschen Raum gebe, sickert sie wieder hungrig in mich ein. Nur wenn andere Menschen mit mir sind macht sie sich klein und unscheinbar und lässt sich mühelos vertreiben, aber von mir alleine nicht. Mir alleine gegenüber breitet sie sich aus und frisst und wächst, verschlingt und erdrückt, unerbittlich.
Wenn es doch nur einen Menschen gäbe, der auch eine Stille in sich trägt, mit ihr kämpft und sich doch jedes Mal in ihr verliert! Wir könnten uns zusammentun, die Stille des jeweils anderen vertreiben und wir hätten beide gewonnen und gemeinsam Ruhe gefunden, Ruhe vor der Stille!
Aber wo findet man so einen Menschen? Denn alle anderen scheinen keine Stille zu fürchten, keine Stille zu kennen. Sie zu fragen, traue ich mich nicht, schäme ich mich doch insgeheim für meine Stille, denn was, wenn ich doch der einzige bin, der es nicht schafft, seine eigene Stille zu füllen? Darf ich denn überhaupt darum bitten, jemand anderes möge meine Stille bändigen? Vielleicht meiden sie mich ja auch bewusst wegen meiner Stille, sehen sie von Weitem wie eine regenschwere Wolke über mir? So scheint es mir manchmal zu sein.
Es ist doch paradox, denke ich: Ich fürchte die Stille und ich fürchte die Menschen. Also sitze ich alleine und versteinert auf dem Sofa und ertrinke in ohrenbetäubender Stille.
Dabei möchte ich doch schreien und toben, hinausrennen zu den Menschen, jeden einzelnen am Kragen packen und schütteln und fragen: "Du, kennst du die Stille, die gefräßige Stille in dir? Darf ich sie dir nehmen? Nimmst du mir meine?", aber bleibe doch still, den Triumph der Stille vorwegnehmend.