Knut Elmich - Prosa

Schützengrabenglaube

"Im Schützengraben gibt es keine Atheisten", sagt man. Angesichts der betenden Lippen meiner Kameraden möchte ich dem fast Glauben schenken. Das Trommelfeuer der Artillerie, in der vagen Hoffnung, den Feind vor unserer Offensive zu zermürben, verschluckt ihre Worte, doch sicherlich kann ihr Gott ihr stummes Flehen dennoch verstehen.

Bestimmt.

Die Erde erbebt und Schlamm und Schmutz regnen auf uns herab. Wir warten zitternd auf das Signal, uns zu erheben und über das tote Niemandsland auf die gegnerischen Linien zuzurennen, einem Plan folgend, den Menschen erdacht haben, die nicht hier mit uns im Dreck sitzen. Sie sind es, die unser Schicksal bestimmen, sie teilen uns ein, machen uns zu einer austauschbaren Zahl, zu einer Variablen in einer grausamen Gleichung.

Der letzte Donner der Kanonen rollt über uns hinweg und hinterlässt angespannte Stille. Dann ein Pfiff. Wir stürmen los.

Wir schreien, stolpern durch Stacheldraht und über die verwesenden Leichen unserer Vorgänger. Maschinengewehre rattern, Kugeln durchsieben uns. Roter Nebel, dann rote Flüsse. Wir fallen in den Dreck, mit dem Gesicht voran, schmecken blutigen Schlamm. Eine Variable ist aus der Gleichung eliminiert, weitere werden folgen.

Aus roten Flüssen sprießt roter Mohn.

"Im Schützengraben gibt es keine Atheisten", sagt man. Und doch herrschen dort auch keine Götter, sondern nur die Menschen, denen wir erlauben, dass sie zu unseren Göttern werden.