Schmalredesymposium
Ich nehme einen Schluck aus meinem Sektglas und er schmeckt schal, denn das Glas ist nur Tarnung um inmitten sektglashaltender Menschen nicht aufzufallen. Um mich herum ist alles weiß und golden: Wände, Decke, Möbel, Menschen. Letztere stehen in Grüppchen herum und unterhalten sich, ich stehe alleine am Rand und beobachte.Sie scheinen sich wohl zu fühlen, hier in diesem Wohnzimmer, dessen Einrichtung in keinster Weise davon zeugt, dass in diesem Zimmer auch tatsächlich jemand wohnt: Belanglose, anonyme Kunstdrucke an den Wänden, dekorative Kerzen, die nie jemand anzündet, ein gewaltiger Fernseher an der Wand. Hier wird konsumiert, aber nichts kreiert oder zelebriert. Dieses Zimmer scheint mir mehr ein Käfig zu sein.
Ein weiter Schluck Sekt hinterlässt einen pelzigen Geschmack auf meiner Zunge. Der Wunsch, mich heillos zu betrinken juckt in meinem Kopf und ich versuche, ihn zu ignorieren: Falscher Ort, falsche Zeit, falsche Idee. Immer wieder wabern Gesprächsfetzen an mir vorbei und es wird mir bestürzend bewusst, wie sehr sich meine Realität von der der anderen Partygäste unterscheidet. Ab und zu werde auch ich aus Höflichkeit in schmale Gespräche verwickelt, die sich allerdings bald in breites Schweigen wandeln, sobald auch meinem Gegenüber bewusst wird, dass er in mir einen Außerirdischen als Gesprächspartner gefunden hat.
Wie mein letzter Skiurlaub war? Hat noch nie stattgefunden.
Welches Auto ich fahre? Fahrrad.
Wie geht es den Kindern? Müssen noch gezeugt werden.
Ich bleibe höflich, versuche meinem Gegenüber Offenheit und Interesse zu demonstrieren, wenn er mir etwas erzählt, aber es gelingt mir nicht sehr gut, denn wir beide merken: Ich bin nicht von seiner Welt. Also stehe ich stumm weiter am Rand und beobachte weiße und goldene Menschen in einem weißen und goldenen Raum.
Ich leere mein Sektglas, der letzte Schluck lässt mich schaudern, so wie diese Soirée: Der Sekt ist schal, die Gespräche schmal, die Menschen nur Schale. Der Gastgeber fließt von Grüppchen zu Grüppchen, demonstrative Gastfreundlichkeit vor sich her tragend. Er erzählt heitere Anekdoten und lacht über jene der anderen, ganz wie es sich gehört. Canapés werden gereicht, eine weitere Sektflasche geöffnet. Letztendlich kommt er lächelnd zu mir. Ob ich noch einen Sekt haben möchte? Ich lehne dankend ab und schon wendet er sich wieder den anderen Gästen zu.
Meine Armbanduhr ist eine Casio, aber sie sagt mir genauso wie die Rolex des Gastgebers, dass es Zeit ist, zu gehen.