Knut Elmich - Prosa

Bordunbass

Der Komponist sitzt in seiner Erkerkammer in der Philharmonie, schreibt und sieht, liest und schreibt. Unermüdlich kratzt seine Feder über die Partitur, setzt Noten, Pausen, Kontrapunkte in die nie enden wollende Symphonie. Sobald eine Seite vollendet ist, bringen Boten die noch tintenfeuchten Blätter zu den Musikern und dem Dirigenten, legen sie ihnen auf die Pulte, welche überquellen von schon gespielten Noten, während sie spielen. Sie spielen schon seit Jahren, unermüdlich, die nie enden wollende Symphonie.

Doch etwas stört den Dirigenten, stört das Meisterwerk: Ein kratziger Kontrabass spielt schon lange eine Note, die dort nicht hingehört, ohne Schwankung, ohne Unterbrechung frisst sich sein Dröhnen immer wieder durch die delikat arrangierten Noten, Pausen, Kontrapunkte. Der Dirigent runzelt immer wieder die Stirn, seine Augen suchen auf der Partitur diesen dröhnenden Bass, findet ihn nicht. Er dirigiert weiter, muss weiter dirigieren, die nie enden wollende Symphonie darf nicht enden.

Aber es nagt an ihm. Er mustert die Musiker vor ihm, aber findet ihn nicht, diesen Kontrabassisten mit seinem störenden Ton. Je mehr er sich auf diesen Missklang konzentriert, desto lauter scheint er zu werden, immer dominanter schiebt sich das Dröhnen vor den Wohlklang der nie enden wollenden Symphonie.

Er weiß nicht, was er tun soll. Er muss ja weiter dirigieren, immer weiter bringen Boten neue Notenblätter, kann nicht einfach aufspringen, die Vorführung unterbrechen, unter den Musikern den Schuldigen suchen und diesen Dilettanten, der es wagt, mit seinem kratzigen Dröhnen das Kunstwerk zu beflecken, des Saales zu verweisen, ihn voller Wut hinauszuprügeln.

Er konzentriert sich, versucht die schönen Noten zu betonen, dirigiert kraftvoll und treibt das Orchester an, immer lauter und lauter zu spielen, um den dröhnenden Missklang zu übertönen. Die Musiker spielen mit, wer bläst, wird erst rot im Gesicht, dann blau. Wer streicht, reißt den Bogen über die Saiten als wolle er sein Instrument zersägen. Unwillkürlich spielen sie immer schneller, je mehr sie die Lautstärke steigern, doch nichts hilft, der verfluchte Kontrabass dröhnt und knarzt.

Immer ausschweifender werden die Schlagfiguren des Dirigenten, es strengt ihn an, Schweiß tropft von der Stirn auf die noch tintenfeuchte Partitur, lässt die Noten verschwimmen. Er kann sie nur noch erahnen, dirigiert falsch, die Musiker kommen aus dem Takt in ihrem Veitstanz, die ersten Bläser fallen keuchend von ihren Stühlen. Er hat sie ruiniert, die nie enden wollende Symphonie, hat versagt, versagt! Er muss sie retten, retten, weiter dirigieren, er hebt den Arm und ein Krampf in seiner Brust blitzt durch ihn, er bricht zusammen, fällt über seinem Pult, gleitet zu Boden.

Abrupte Stille. Das Orchester schweigt, zum ersten Mal seit zahllosen Jahren. Ratlos stehen die Boten mit neuen Notenblättern am Rand. Was sollen sie jetzt tun? Vorsichtig nähern sie sich dem Dirigenten. Auch die Musiker erheben sich langsam und lassen ihre Instrumente zurück. Man versammelt sich um den leblosen Körper des Dirigenten. Sein blaues Gesicht ist eine Fratze, die eine Hand verkrampft an der Brust, die andere hält noch immer seinen Stab. Die Menge ist ratlos, man sieht sich schweigend an.

Leise beginnt ein kratziger Kontrabass eine einzige Note zu spielen.