Knut Elmich - Prosa

Blindspiegel

Das dumpfhallende Geräusch von nacktem Fleisch, das gegen Glas schlägt. Immer wieder und wieder, immer wieder hallt es durch das Spiegelkabinett, denn die Spiegel sind blind geworden.

Er rennt nackt durch das Labyrinth. Die gewohnte Orientierungslosigkeit ist ersetzt worden durch Panik, denn ohne jede Reflektion, in die es sich zu versinken lohnt, bleibt nur noch die Suche nach dem Ausgang.

Er stolpert und stößt immer wieder gegen die Spiegel, schreit auf, hetzt weiter. Keiner von ihnen zeigt ihm mehr, wer er ist, aber das haben sie auch nicht getan, als sie noch nicht blind waren, haben sein Antlitz verzerrt und entstellt, dennoch verstört es ihn, dass sie ihm nun gar kein Bild von ihm mehr zeigen. Tränen rennen über sein Gesicht, er stolpert erneut, fällt auf die Knie. In seiner Verzweiflung schlägt er immer wieder schreiend auf den Spiegel vor ihm ein.

Das schneidende Geräusch von reißendem Glas, dann zerbricht es, der Spiegel fällt auseinander, er schlägt und schlägt weiter auf ihn ein, Splitter bohren sich in seine Hände, Scherben zerschneiden seine Arme, Blut verschmiert das Glas, den Boden, seinen Körper, er fällt in sich zusammen. Ein zitterndes, schluchzendes, nacktes Häuflein Mensch, inmitten von Blut und Spiegelscherben.

Als die Tränen versiegen kriecht er weiter, er hat ja keine Wahl, er muss den Ausgang finden, muss hier raus. Eine neue Welle von Panik spült über ihn hinweg, er richtet sich schwankend auf, fängt wieder an zu rennen, taumelt gegen Spiegelwände.

Das dumpfhallende Geräusch von nacktem Fleisch, das gegen Glas schlägt. Immer wieder und wieder, immer wieder hallt es durch das Spiegelkabinett, denn die Spiegel sind blind geworden.

Er rennt nackt durch das Labyrinth.